Zu der Frage "Ist eine Tantra-Massage eine sexuelle Dienstleistung" gab es schon im Herbst 2019 ein Urteil des Verwaltungsgerichts in Gelsenkirchen (also das gleiche wie dieses Mal), das in die gleiche Richtung geht wie das jetzige, und daher überrascht das neue Urteil eigentlich nicht.
Nachzulesen ist das ganze
hier auf justiz.nrw, dem offiziellen Justiz-Portal von NRW.
Kurz gesagt: Ein (zukünftiger) Betreiber wollte einen Tantra-Laden in einem Wohngebiet bauen (lassen), die Stadt erteilte keine Baugenehmigung, der Betreiber klagte - und gewann. Die Argumente der Stadt waren damals die gleichen wie jetzt die des Landes ("Tantraladen bietet sexuelle Dienstleistungen an"), das Gericht sagte ebenso wie heute "Nee, in erster Linie nicht". Die Stadt musste die Baugenehmigung erteilen.
Hier das Essentielle aus der Begründung des Gerichts - wer nicht alles lesen will, ich habe das Wichtigste fett markiert. (Fun-Fact am Rande: Dem Gericht ist vollkommen klar, dass auch in ausgewiesenen Massagesalons sexuelle Dienstleistungen angeboten werden - siehe folgender Text):
[K]Um solch einen Wellness-Massagebetrieb handelt es sich vorliegend, nicht aber – wie die Beklagte meint – um einen bordellartigen Betrieb, der in der Tat als erheblich störender Gewerbebetrieb einer anderen Bewertung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit unterworfen wäre. Unter der Bezeichnung „Massagesalon“ lassen sich – wie auch die soziale Wirklichkeit zeigt – Betriebe unterschiedlichster Ausrichtung in Abhängigkeit insbesondere von der konkreten Ausgestaltung und Zielrichtung der angebotenen Massagetätigkeit fassen. Neben der Abgrenzung von Wellness-Behandlungen zu traditionell gesundheitsbezogenen Massagen ist insbesondere die Abgrenzung zu bordellähnlich geführten Betrieben zu leisten, in denen erotische Massagen angeboten werden, mit vorwiegend auf die sexuelle Stimulanz ausgerichteten Kontakten.
Bei der Charakterisierung der Betriebsform als bordellartiger Betrieb ist dabei grundsätzlich danach zu unterscheiden, ob der konkrete Betrieb gerade auf die sexuelle Stimulation der Kunden ausgerichtet ist oder andere Ziele verfolgt, ob also der Schwerpunkt des Betriebs im Anbieten sexueller Dienstleistungen liegt. Denn nur für diesen Fall kann angenommen werden, dass es sich um einen bordellartigen Betrieb handelt, der bei einer typisierenden Betrachtungsweise im Regelfall mit besonderen bodenrechtlichen Spannungen, insbesondere typisch „milieubedingten“ Auswirkungen derartiger Einrichtungen auf das das Wohnumfeld in dem betreffenden Gebiet prägende soziale Klima, verbunden und daher in (auch) dem Wohnen dienenden Baugebieten unzulässig ist. Neben der Bezeichnung als „Massagesalon“ oder „Massagestudio“ kommt es aber grundsätzlich auf die die konkrete Betriebsform kennzeichnenden gesamten Umstände an. Dazu können unter anderem die konkret angebotenen Massagen, weitere dort angebotene (sexuelle) Dienstleistungen, die Präsentation des Massageangebots und der Massierenden vor Ort sowie in der Außendarstellung, die Tatsache einer Anmeldung als Prostitutionsstätte nach dem Prostituiertenschutzgesetz oder die Zertifizierung durch einen Verband zählen.
Dies zugrunde gelegt kann das Gericht im vorliegenden Einzelfall nach dem Gesamteindruck des Vorhabens nicht erkennen, dass es sich bei diesem um einen bordellartigen Betrieb handelt. Zwar umfassen einige der angebotenen Massagen aus dem Bereich des Tantra in dem zur Genehmigung gestellten Massagesalon – unstreitig – auch den Intimbereich der Kunden und können somit der sexuellen Stimulation der Kunden dienen. Es lässt sich aber nicht erkennen, dass der Schwerpunkt des Betriebs gerade darin besteht, sexuelle Dienstleistungen anzubieten bzw. der Betrieb auf die Erbringung sexueller Dienstleistungen ausgerichtet ist. Wie den umfangreichen Ausführungen der Klägerin – sowohl schriftsätzlich als auch im Ortstermin – zu entnehmen ist, steht bei den angebotenen Massagen, die auch den Intimbereich (beider Geschlechter) umfassen, die sexuelle Stimulation nicht im Vordergrund. Vielmehr verfolgen die Betreiberin der Praxis und ihre Mitarbeiter einen ganzheitlichen Ansatz, der den gesamten Körper umfasst. Die in der Praxis angebotenen Massagen aus dem Bereich des Tantra folgen festen Regeln, dauern in der Regel mindestens 90 Minuten und sind mit mindestens einem Vorgespräch zwischen dem Massierenden und dem Kunden verbunden. Dies spricht dagegen, dass bei den Massagen der sexuelle Lustgewinn der Kunden im Vordergrund steht. In einem solchen Fall lägen andere „Massageangebote“ aus dem Rotlichtbereich wohl näher. Weiterhin ist im vorliegenden Einzelfall entscheidend, dass nach dem zur Genehmigung gestellten Betriebskonzept keinerlei Berührungen der Massierenden durch die Kunden erlaubt sind. Auch eine „Erweiterung“ der Massage um Geschlechtsverkehr mit den Kunden ist nicht möglich, sodass (andere) sexuelle Dienstleistungen im konkreten Betrieb nicht angeboten werden. Im Gegenteil bietet die Praxis neben den Intimbereich umfassenden Ganzkörpermassagen aus dem Bereich des Tantra auch andere ayurvedische und klassische Wellnessmassagen an, wie etwa Rücken- oder Schwangerschaftsmassagen. Diese überzeugenden Ausführungen stellt selbst die Beklagte nicht durchgreifend in Frage.
Die Außendarstellung der fraglichen Massagepraxis sowohl vor Ort als auch im Internet auf der Homepage der Praxis spricht ebenfalls nicht für die Einordnung als bordellartiger Betrieb. Die Räume sind sehr nüchtern und „clean“ gehalten und erwecken in der Tat eher den Eindruck eines „esoterisch angehauchten“ Wellnessbereichs als eines Bordells bzw. bordellartigen Betriebs zur sexuellen Stimulation der Kunden, wie den im Rahmen des Ortstermins gefertigten Lichtbildern (Bl. 120-144 der Gerichtsakte) zu entnehmen ist. (...)
Ferner sind alle in der konkreten Praxis tätigen Massierenden und auch die Praxis selbst vom TMV zertifiziert. Dies bedeutet, die Mitarbeiter haben eine standardisierte, qualifizierte Ausbildung zur Masseurin bzw. zum Masseur bei einem zertifizierten Ausbilder und eine entsprechende Prüfung absolviert. Zudem sind die zertifizierten Massierenden verpflichtet sich regelmäßig fortzubilden. Der Verband selbst gibt dazu auf seiner Homepage (...) an, auf diese Weise eine anhaltend hohe Qualität der von den zertifizierten Praxen angebotenen Massagen gewährleisten zu wollen. Dies ist im vorliegenden Fall ebenfalls ein Indiz dafür, es nicht mit einem bordellartigen Betrieb im oben genannten Sinne zu tun zu haben. Denn für „Tantra-Massagen“ aus dem Rotlichtbereich bzw. Massagen in Betrieben, die vornehmlich der sexuellen Stimulation ihrer Kunden dienen, wäre eine solche Ausbildung nicht erforderlich. [/K]